Gino Lettieri beurlaubt
06.10.2006 18:40
Altstädter Ex-Trainer nicht mehr in Darmstadt tätig
fussball
Von Herbert Steininger
Die erste Trainerentlassung dieser Saison in der Regionalliga Süd ist perfekt. Der SV Darmstadt 98 hat gestern den letztjährigen Coach der SpVgg Bayreuth, Gino Lettieri, beurlaubt, der erst zu Saisonbeginn Bruno Labbadia abgelöst hatte. Gleich entlassen wurde Ginos Bruder Gianni, der als Co-Trainer bei den Lilien tätig gewesen war.
Sieben Niederlagen und der drittletzte Tabellenplatz nach zehn Spielen waren den Verantwortlichen am Böllenfalltor offenbar zu viel. Immerhin waren die Hessen mit ehrgeizigen Zielen angetreten. Präsident Karl-Heinz Wandrey: „Wir reagieren damit auf die anhaltende sportliche Erfolglosigkeit. Wir wissen, dass Gino und Gianni Lettieri hier engagierte Arbeit geleistet haben, zollen ihnen unseren Respekt und Dank und wünschen ihnen für ihren weiteren Werdegang alles Gute.”
Gino Lettieri wollte sich auf KURIER-Anfrage erst einmal nicht äußern. „So etwas passiert halt im Trainergeschäft”, meinte der 39-Jährige lapidar. Mittlerweile befasst sich sein Anwalt mit der Kündigung.
Neuer Darmstädter Cheftrainer wird mit Gerhard Kleppinger ein alter Bekannter: Der 48-Jährige ist ein echtes Lilien-Eigengewächs und bestritt für Darmstadt 98, Schalke 04, Borussia Dortmund und KFC Uerdingen 298 Erstliga- und 171 Zweitligaspiele. In der zweiten Liga trainierte der 48jährige den FC St. Pauli und RW Oberhausen. Für Darmstadt war er bereits 1994 bis 1996 als Trainer tätig. Unter seiner Ägide sollen jetzt die Pläne der Hessen in die Tat umgesetzt werden.
Scheiterte in Darmstadt: Der Altstädter Ex-Trainer Gino Lettieri. Foto: Ritter
Regionalligist SV Darmstadt 98 beurlaubt erfolglosen Coach und verpflichtet als Nachfolger einen alten Bekannten
VON SEBASTIAN GEHRMANN
Die Stimmungslage im Kabinengang des Stadions am Böllenfalltor hätte gestern Mittag unterschiedlicher nicht sein können. In der Kabine, dort, wo sich die Regionalliga-Fußballer von Darmstadt 98 vor knapp zwei Wochen noch lautstark eingeschworen hatten, um im wegweisenden Punktspiel gegen Hessen Kassel Trainer Gino Lettieri vor dem Rauswurf zu bewahren, verabschiedete sich der geschasste Italiener nun mit betretener Miene von seinen Spielern.
Am Donnerstagabend hatte das Präsidium der Lilien nach "langer und heftiger Diskussion, aber einstimmig, entschieden", so der frisch gewählte Präsident Karl-Heinz Wandrey, den Trainer, der einen Vertrag bis zum 30. Juni 2009 besitzt, zu beurlauben und den Kontrakt mit Co-Trainer Gianni Lettieri zum 30. November 2006 aufzulösen. Und während die Lilienkicker in der Umkleide ihren ehemaligen Coach noch sichtlich geschockt anstarrten, wurde nur ein paar Schritte weiter, im Presseraum am anderen Ende des Gangs, Nachfolger Gerhard Kleppinger, 48, vorgestellt. "Die einen sind froh, dass er weg ist. Andere weinen ihm eine Träne nach. Und dem Rest ist es egal", befand Kleppinger anschließend. Dabei soll sich die Mannschaft bis auf den verletzten Publikumsliebling Zivojin Juskic und den degradierten Torhüter Bastian Becker in der Nacht nach der Niederlage beim TSV 1860 München II am 16. September geschlossen für den Trainer ausgesprochen haben.
"Die Fakten sprachen gegen ihn"
Doch das eindeutige Votum hat die Beurlaubung lediglich verzögert. Nach jenem trostlosen Auftritt in der bayerischen Hauptstadt wurde in der Führungsetage und hinter verschlossenen Türen bereits über mögliche Konsequenzen nachgedacht. Erste Kontakte zu Kleppinger wurden geknüpft. Und es war die Niederlage in Hoffenheim, die Lettieri letztendlich seinen Arbeitsplatz kostete, weil die Leidenschaft aus dem Hessenderby nach Ansicht der Verantwortlichen bereits wieder verpufft war. Von Kleppinger, der einen Vertrag über anderthalb Jahre unterschrieb, ist Wandrey hingegen überzeugt, "dass er in der jetzigen Situation der richtige Mann ist".
Es war die erste und zugleich bitterste Entscheidung des neuen Vereinsvorstehers, sich dem Willen des Führungsgremiums zu beugen und für den Trainerwechsel zu stimmen. Wandrey hatte sich vehement für Lettieri eingesetzt, "doch am Ende sprachen die Fakten gegen ihn". Mit mageren neun Punkten aus zehn Spielen steht der Verein auf einem Abstiegsplatz, und unter dem erfolgssüchtigen Anhängern hatte Lettieri spätestens seit jenem Tag, an dem er es wagte, die Kultfigur Juskic auf die Tribüne zu setzen, jeglichen Kredit verspielt.
Fakt ist aber auch, dass die Stimmen innerhalb des Vereins, die den streitbaren Trainer lieber heute als morgen abgesägt hätten, immer lauter wurden. "Hier herrschen ganz andere Strukturen", so Wandrey. Bei Lettieris vorherigen Stationen habe es "für den Trainer immer nur einen starken Präsidenten und ihn" gegeben. In Darmstadt hingegen hat ein mehrköpfiges Präsidium "mit angeschlossenem Berater" (Wandrey) das Sagen. Und gerade Präsidiumsberater Uwe Wiesinger ließ jüngst keine Gelegenheit aus, Lettieri zu kritisieren.
Nun soll Kleppinger, der seine Profikarriere einst bei den Lilien begann und bereits Mitte der 90er Trainer in Darmstadt war, kurzfristig den Karren aus dem Dreck ziehen und langfristig "das Ziel dritte Profiliga anpeilen". Am 1. Mai 1996 war er als Spielertrainer entlassen worden. "Das Problem ist, dass hier mit minimalen Mitteln gearbeitet werden muss", sagte er damals. Und, weil ihm der Zorn von den Rängen in den Ohren klang: "Vom Mob und gescheiterten Existenzen lasse ich nicht niedermachen." Heute findet Kleppinger, dem Ex-Spieler Richard Hasa als Assistent zur Seite stehen wird, er habe damals "zu emotional reagiert".
Folgender Artikel aus der FR trifft es auf den Punkt.
Gino hat sich einfach zu weit aus dem Fenster gelehnt. Generell ist das nicht verkehrt, da er ja Recht damit hatte, wird aber leider von unserer tollen Vereinsführung nicht so gerne gesehen
Kommentar VON SEBASTIAN GEHRMANN
Sein letzter öffentlicher Auftritt am vergangenen Mittwoch dürfte Gino Lettieri endgültig zum Verhängnis geworden sein. Da hockte der Trainer des SV Darmstadt 98 mit dem ihm eigenen Selbstverständnis vor der Kamera von rheinmaintv und brachte das Kunststück fertig, in dem vom Ballungsraumsender produzierten und Gönnern des Vereins mitfinanzierten Lilien-Magazin Probleme im Verein offen anzusprechen. Lettieri blieb sich selbst treu und machte keinen Hehl aus den finanziellen Zwängen, die die Kaderplanungen erheblich beeinflusst hatten, weshalb derzeit nicht unbedingt die Spieler am Böllenfalltor dem Ball nachjagen, die vor der Saison auf dem Wunschzettel des Trainers gestanden hatten. Die Botschaft war unmissverständlich. Die aktuelle Tabellensituation ist auch ein Abbild der Rahmenbedingungen. Diese Offenheit ehrt ihn. Lettieri trägt sein Herz auf der Zunge. Aber das war starker Tobak.
Den Verantwortlichen der Lilien schmeckte das offensichtlich überhaupt nicht. Schon nach seiner öffentlichen Spielerschelte und dem verbalen Scharmützel mit dem Wehener Trainerkollegen Djuradj Vasic hatte es intern jeweils einen Rüffel gegeben. Einen Mann, der frischen Wind in den Verein bringt und dem nicht der Stallgeruch jener Trainergilde anhaftet, die sich in der Region die Klinke in die Hand drücken, wollten die Lilien verpflichten. Und jetzt hatten sie den Salat.Nun war alles nur ein großes Missverständnis. Lettieri kümmerte es reichlich wenig, wer im Verein was zu sagen hat. Er ließ sich nicht von Präsidiumsberater Uwe Wiesinger einspannen und machte selbst vor "Denkmal" Zivojin Juskic keinen Halt.
Rückendeckung gab es vom neuen Präsidenten. Der wollte trotz aller Kritik von den Rängen Ruhe bewahren und an Lettieri festhalten. Leider war der Widerstand am Ende zu groß.
